‚Schinkeleraner‘

Wie heißen die Bewohner des Schinkels: Schinkeler oder Schinkelaner?

Wie bei der Im- oder In-Problematik ist auch hier beides richtig. Warum, beschreibt auch der Artikel von Magdalena Hilgefort in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 06.04.2010:

Falsch gibt es nicht

Sprache funktioniert nicht wie Mathematik. Es gibt keine allgemeingültige Formel für das gesprochene Wort. Deswegen dürfen sich zum Beispiel Bürger der Gemeinde Hasbergen sowohl als Hasberger als auch als Hasbergener fühlen. Und wie sieht es aus mit Menschen aus Hilter, Icker oder Hagen? Zur Beruhigung vorweg: Richtig oder falsch gibt es nicht.

Das sagt jedenfalls Christof Müller. Müller hat Germanistik, Romanistik und allgemeine Sprachwissenschaft studiert, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück, und er hat Ahnung. Zuerst klingt, was er sagt, ganz einfach. Eine Regel nennt er gleich vorneweg: Bei allen Ortsnamen mit mehr als zwei Silben, die auf -en enden, kann für die Bezeichnung der Bewohner das -en durch -er ersetzt werden. Beispiele: die Hasberger, Schledehauser, Natberger. Allerdings: Hager oder gar Disser sagt niemand. Die Menschen in Bremen dagegen nennen sich Bremer.

„Das ist schwierig“, gibt der Sprachwissenschaftler zu, „was in Bremen geht, funktioniert nicht unbedingt in Dissen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagt man Hagener und Dissener.“ Richtig geschätzt. Aber warum? „Diese regionalen Varianten sind oft mundartlich bedingt“, versucht Müller zu erklären.

Auf der anderen Seite gibt es auch phonologische Gründe: Hagener klingt doch einfach besser als Hager. „Zwei unbetonte Silben hintereinander werden nicht so gerne gebildet“, sagt Müller. Und was eigentlich gar nicht gehe, sind zwei gleich lautende Silben hintereinander. Die Worte „Zauberer“ oder „sauberer“ seien absolute Ausnahmen. So wollen auch die Bürger von Münster wohlklingen und nennen sich nicht Münsterer, sondern Münsteraner, gibt Müller als Beispiel. „Es ist einfacher zu sprechen, und es wird das Aufeinandertreffen von gleich lautenden Silben vermieden.“ Die Hilteraner machen es genauso. Ebenfalls die Engteraner. Viele Bewohner von Orten, die auf -er enden, nutzen also die Endung -aner. Noch eine Art Regel? Die bestätigt redensartlich die Ausnahme – zum Beispiel in Icker. Da heißt es nämlich zum Beispiel auch Icker Kirche oder Icker Landstraße. Dabei wird auf die -aner-Bildung verzichtet. Die ist übrigens im Vergleich zu anderen Konstruktionen relativ neu, sagt Müller.

Sicher ist sich der Sprachwissenschaftler bei den Ortsnamen mit der Endung -trup: „Da heißen die Bewohner auf jeden Fall -truper.“ Überhaupt wird die Bezeichnung für Bewohner eines Ortes grundsätzlich dadurch gebildet, indem an den Ortsnamen -er angehängt wird. Im Standardfall heißen zum Beispiel alle Bewohner eines Ortes, der mit -dorf endet, -dorfer: Glandorfer, Bissendorfer, Sudendorfer.

Diese Fälle sind „durchsichtig“, soll heißen, man weiß um die Bedeutung des Wortes „Dorf“. Hier macht Müller ein anderes Fass auf, wenn es um die Bezeichnung von Orts- beziehungsweise Stadtteilen geht. Zum Beispiel in Osnabrück. Der Streitfall Schinkel: Heißt es nun „im“ oder „in“ Schinkel? Schinkel sei höchstwahrscheinlich wortverwandt mit Schenkel, so Müller, eine alte Geländebezeichnung für ein schenkelförmiges Gebiet. „Im Schinkel“ sagen diejenigen, die um diese Bedeutung wissen, vermutet Müller. Aus heutiger Sicht ist der Begriff „undurchsichtig“. Deswegen wird Schinkel eher als Ortsname behandelt – also „in“. Bei anderen Stadtteilen ist der Fall klarer: Bei „in der Dodesheide“ oder „in der Wüste“ streitet sich niemand, die Geländebezeichnung wird erkannt.

Alles sehr kompliziert. Doch Müller betont zum Schluss: „In der Sprache gibt es zwar die Norm, doch de facto gibt es keine Regeln, da Sprache ein Eigenleben hat. Sprache ist ein System, und Systeme kann man nur schlecht kontrollieren.“ Seitdem es die Möglichkeit der Tonaufnahme gibt, ist die Erforschung der gesprochenen Sprache immer mehr in den Fokus der Sprachwissenschaftler gerückt. Müller: „Und seitdem man den Leuten aufs Maul schaut, merkt man, dass sich Sprache weitestgehend alleine reguliert.“ So wie bei den Hasbergern, Dissenern, Hilteranern oder den Menschen aus (dem) Schinkel.